Freitag, 28. September 2012

"Sternstunde Philosophie"--Hans-Peter Dürr - Gespräch






Zur Ergänzung ein Zitat aus dem Buch von Hans-Peter Dürr "Geist, Kosmos und Physik - Gedanken über die Einheit des Lebens" S.44-45, das ich als Ergänzung und Anregung hinsichtlich des beschleunigten Richtungswechsels im allgemeinen Weltverständnis einfüge:


"Es gibt keine Materie!
Ich habe als Physiker fünfzig Jahre lang-mein ganzes Forscherleben-damit verbracht zu fragen, was eigentlich hinter der Materie steckt. Das Endergebnis ist ganz einfach: Es gibt keine Materie!
Ich habe somit fünfzig Jahre an etwas gearbeitet, was es gar nicht gibt. Das war eine erstaunliche Erfahrung: Zu lernen, dass es das, von dessen Wirklichkeit alle überzeugt sind, am Ende gar nicht gibt. Immerhin hat es sich gelohnt, diesen langen Weg zu gehen. Aber Sie müssen diesen Weg jetzt nicht nachvollziehen, sondern ich will ihnen eine Abkürzung zeigen.
Was fühlt ein Naturwissenschaftler, wenn er plötzlich erkennt, dass es das, was er für die Grundlage der Naturwissenschaft halt — nämlich Materie, die wir alle greifen können — gar nicht gibt? Wir sind trotzdem nicht deprimiert, denn das ermöglicht Einsichten, die für uns alle, für unser Weltbild und unsere Überzeugungen wichtig sind. Wir werden darum aber nicht an diesen allgemeinen Grundlagen hängenbleiben, so aufregend sie sein mögen, sondern auch die Frage stellen, was für uns daraus folgt, welche Konsequenzen wir daraus für die jetzige Situation ziehen können, die so voller Krisen ist. Denn diese Krisen hängen alle damit zusammen, dass wir eine völlig falsche Vorstellung von der Welt haben. Wir haben uns in ein enges Weltbild hineindrängen lassen, in dem es keine Lösungen gibt. Das liegt daran, dass wir uns selbst gefesselt haben.
Aus diesen Fesseln eines engen Weltbildes müssen wir herauskommen. Wir brauchen Lebensimpulse, wir brauchen die Bereitschaft, wieder Leben in eine verknöcherte Welt hineinzubringen, aus der es scheinbar keinen Ausweg mehr gibt. Viele haben den Eindruck, wir gehen unserem Untergang entgegen und können nichts dagegen machen. Aber wir können sehr wohl aus dieser Enge heraus-kommen, wenn wir wirklich verstehen, dass wir gar nicht in einer Sackgasse sind. Wir müssen nur ein paar Zäune überpringen — und dann sind wir in der freien Natur und können uns wieder bewegen. Viele glauben, es sind unüberwindliche Mauern und sehen gar nicht, dass es bloß Zäune sind, die man nur überspringen muss. Der Weg zu diesen Lösungen heißt Entkrampfung, Lockerung, Öffnung oder Befreiung von diesen Fesseln.
Unserem Leben wieder die Lebendigkeit zurückzugewinnen, die wir brauchen, um aus dieser Enge herauszukommen. Das heißt aber letztlich auch, dass wir wieder die spirituelle Dimension unserer Existenz erkennen müssen, die wir verdrängt haben. Wir müssen dazu keine Esoteriker werden, sondern Spiritualität ist etwas ganz Bekanntes, zu dem wir alle Zugang haben, obwohl viele es vielleicht noch gar nicht bemerkt haben. In diese Richtung führen auch die naturwissenschaftlichen Überlegungen, die uns haben erkennen lassen, dass nicht die Materie das Fundament unserer Wirklichkeit ist.
Das kann ich jetzt schon vorwegnehmen: Das Fundament unserer Wirklichkeit ist nicht die Materie, sondern etwas Spirituelles, das gar nicht begreifbar ist. Schon der Ausdruck Fundament ist falsch, denn ,,Fundament" ist an die Vorstellung von ,,Substanz" gebunden. Besser sollte man sagen: Im Grunde unserer Wirklichkeit ist kein Fundament, sondern eine Quelle, etwas Lebendiges.
Deshalb ist es unsere Aufgabe, diese Lebendigkeit zu erkennen, um wieder den Freiraum zu gewinnen, in dem wir unsere Probleme suchen und lösen konnen.
Mit dieser Orientierung kann ich mich sogar als Physiker an das Leitthema ,,Lebensimpulse" anschließen. Durch Lebensimpulse sollten wir uns aus dieser weltanschaulichen Enge, aus diesem selbst auferlegten Zwang zu befreien suchen."

Hans Peter Dürr
Geist, Kosmos und Physik
Gedanken über die Einheit des Lebens
Crotona Verlag (2010)

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